Arbeitnehmer können bei fehlerhaften Massenentlassungen keine kumulative Zahlung einer Sozialplanabfindung und eines gesetzlichen Nachteilsausgleichs verlangen. Der Zweck der Sozialplanabfindung und des Nachteilsausgleichs sind weitgehend deckungsgleich. Daher können beide Leistungen miteinander verrechnet werden. Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit seinem Urteil vom 12.02.2019, Az.: 1 AZR 279/17, entschieden.
Arbeitnehmer verlangte den Nachteilsausgleich und zusätzlich die Sozialplanabfindung
Keine ausreichende Verhandlung mit dem Betriebsrat über Interessenausgleich vor Ausspruch der Kündigungen
Der Arbeitnehmer war seit 1991 bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Im März 2014 beschloss der Arbeitgeber, den Beschäftigungsbetrieb des Arbeitnehmers in Berlin stillzulegen. Mit Schreiben vom März 2014 unterrichtete der Arbeitgeber den Betriebsrat über die geplante Schließung des Betriebes. Im April verhandelten Arbeitgeber und Betriebsrat in nur einer Sitzung und ohne Erfolg über einen Interessenausgleich.
Wenige Tage nach der erfolglosen Verhandlung im April übermittelte der Arbeitgeber dem Betriebsrat eine „Anzeige von beabsichtigten anzeigepflichtigen Entlassungen gem. § 17 Abs. 2 KSchG“ (Massenentlassungsanzeige). Mit Beschluss vom 02. Mai 2014 bestellte das Arbeitsgericht Berlin einen Einigungsstellen-Vorsitzenden. Der Arbeitgeber hatte allerdings bereits zuvor bereits die Arbeitsverhältnisse aller in dem betroffenen Betrieb in Berlin beschäftigten Arbeitnehmer gekündigt. Ein Sozialplan wurde erst Mitte September 2014 geschlossen. Aus dem Sozialplan ergab sich ein Anspruch auf eine Abfindung für den klagenden Arbeitnehmer in Höhe von 9.000,00 €. Im Sozialplan wurde nicht vereinbart, dass die Sozialplanabfindung nicht auf den Nachteilsausgleich verrechnet werden darf.
Was ist ein Nachteilsausgleich?
Ein Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG ist eine besondere Form der Entschädigung für Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz durch eine betriebsbedingte Kündigung verloren haben.
Der Arbeitgeber hat die Entschädigung zu zahlen, wenn er entweder
- eine Betriebsänderung (z.B. Betriebsstilllegung oder Betriebsverlagerung) durchführt, ohne mit dem Betriebsrat ausreichend über einen Interessenausgleich verhandelt zu haben, und es infolge der Betriebsänderung zu Entlassungen oder anderen wirtschaftlichen Nachteilen für die Arbeitnehmer kommt oder
- der Arbeitgeber von einem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund abweicht.
Die Entschädigung wird in Form einer Abfindung von bis zu 12 Monatsgehältern gezahlt. Außerdem sind etwaige weitere wirtschaftliche Nachteile bis zu einem Zeitraum von einem Jahr auszugleichen.
Arbeitnehmer klagte gegen die Kündigung und verlangte hilfsweise den Nachteilsausgleich
Der betroffene Arbeitnehmer erhob gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses eine Kündigungsschutzklage. Hilfsweise beantragte er, einen Nachteilsausgleich zu zahlen. Zuletzt verlangte der Arbeitnehmer nur noch den Nachteilsausgleich.
Mit seinem Urteil vom September 2015 verurteilte das Landesarbeitsgericht den Arbeitgeber zur Zahlung eines Nachteilsausgleichs in Höhe von 16.307,20 EUR brutto. Der Betrag entsprach acht Monatsgehältern des Arbeitnehmers. Das Landesarbeitsgericht argumentierte, der Arbeitgeber habe sich nicht auf die einmalige Verhandlung mit dem Betriebsrat beschränken dürfen. Es hätte die Einigungsstelle angerufen werden müssen.
Keine zusätzliche Zahlung der Sozialplanabfindung durch den Arbeitgeber
Der Arbeitgeber zahlte den Nachteilsausgleich in 4 Raten an den Arbeitnehmer. Die entsprechenden Abrechnungen wiesen die erste Zahlung als „Abschlag“ und die weiteren drei Zahlungen als „Abfindung“ aus. Weitere Zahlungen leistete der Arbeitgeber nicht. Insbesondere zahlte er die Sozialplanabfindung in Höhe von 9.000,00 € nicht.
Deshalb erhob der betroffene Arbeitnehmer eine weitere Klage auf Zahlung der Sozialplanabfindung. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen seine Klage ab.
Kein Verstoß gegen die Massenentlassungsrichtline
Der Arbeitnehmer verfolgte den Anspruch auf Zahlung der Sozialplanabfindung vor dem Bundesarbeitsgericht weiter. Die Revision des klagenden Arbeitnehmers hatte jedoch keinen Erfolg.
Mit der Zahlung des Nachteilsausgleichs an den Arbeitnehmer habe der Arbeitgeber auch den Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung der Sozialplanabfindung erfüllt. Denn der Zweck beider betriebsverfassungsrechtlicher Leistungen sei weitgehend deckungsgleich.
Die Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG stehe dem nicht entgegen. Verletze der Arbeitgeber seine Pflicht zur Konsultation des Betriebsrats vor einer Massenentlassung, habe dies die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. Weitere Rechtsfolgen seien jedoch nicht geboten. Insbesondere müsse die Verletzung der Konsultationspflicht nicht durch die Zahlung einer Entschädigung an den betroffenen Arbeitnehmer sanktioniert werden.